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Der Sinn des Lebens, Naturwissenschaft und Glaube-Religion

Ein Wissenschaftler (Biochemiker und emeritierter Universitätsprofessor) hat sich mit dem Weltbild seit dem Urknall und unserem Wesen auseinander gesetzt.

Doppelter Regenbogen über ökologische Natur in Afrika - wie unberührtes Naturleben.© CC0, wjgomes, Pixabay
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können uns bei dieser Suche helfen. Hat unser Leben einen Sinn? Wie lässt er sich finden? Und können die Naturwissenschaften uns bei der Suche den Weg weisen?

Die Suche nach dem Sinn unseres Lebens ist eine Suche nach der eigenen Würde.

1. Sinn, Glaube und Wissenschaft

Vor zwei Jahrtausenden versuchte man noch, die Existenz Gottes und damit auch den Sinn menschlichen Lebens wissenschaftlich zu beweisen. Vor viereinhalb Jahrhunderten galt die Erde als Mittelpunkt des Universums. Und noch vor zwei Jahrhunderten glaubten viele, die Natur, und mit ihr die Menschheit, strebten dem Ziel höchster Vollkommenheit zu.

Dies erschien als ein Beweis für die ordnende Hand Gottes, der uns Menschen als Krone der Schöpfung erwählt hatte. Glaube und Religion haben noch tiefere Wurzeln.

Heute ist von all dem nicht viel übrig geblieben. Wir haben eingesehen, dass es einen wissenschaftlichen Gottesbeweis nie geben wird, obwohl einige der klügsten Köpfe der Geschichte ihn gesucht haben. Die Astronomen der Renaissance zeigten dann, dass unsere Erde nur ein unbedeutender Himmelskörper unter Abermilliarden anderen ist.

Im Jahre 1858 verkündete Charles Darwin, dass die Entwicklung des Lebens ein blinder Prozess ist, in dem neuartige Lebensformen durch zufällige Variation bestehender Formen und Selektion der Varianten durch die Umwelt entstehen (Evolution).

Damit war auch die Entwicklung des Lebens nicht mehr ein Beweis für ein göttliches Walten, das der biologischen Evolution Ziel und Sinn gibt.

Vor etwa 80 Jahren erkannten Astronomen, dass unser Universum vor etwa 14 Milliarden Jahren durch die Explosion eines unendlich kleinen Energiepunkts im sogenannten Urknall entstand und sich immer noch ausdehnt. Diese Entdeckung besiegelte die Erkenntnis, dass unerbittliche physikalische und chemische Gesetze das Schicksal der Welt bestimmen. Siehe auch Holismus und Organizismus.

Gezeichnetes Bild von "Hamlet, auf Sinnsuche mit Yoricks Schädel." Ca. 1868 entstanden.© Public Domain, Henry Courtney Selous, Wikipedia

Dieses neue Weltbild degradierte den Menschen zu einem winzigen und unbeständigen Materieklumpen in einem chemisch primitiven Universum. Es schien, als hätten die Naturwissenschaften uns unsere Würde und unsere Träume geraubt und dafür nur Tatsachen gegeben.

Die Naturwissenschaften schenkten uns jedoch neue Träume von fast atemberaubender Dramatik und Schönheit.

Und nichts hat die Einmaligkeit und Würde jedes Menschen so eindrücklich offenbart wie die moderne Biologie.

Das naturwissenschaftliche Weltbild des 21. Jahrhunderts zeigt uns ein Universum voller Rätsel, in dem lebendige Materie eine fast unfassbar kostbare Ausnahme ist. Siehe auch Biowissenschaften.

Wer mit wissenschaftlichen Argumenten versucht, die Existenz Gottes zu beweisen oder zu widerlegen, denkt genauso irrational wie jemand, der wissenschaftliche Erkenntnisse aus religiösen Gründen ablehnt. Wir Menschen brauchen Glauben ebenso wie rationales Denken - und das ist unser Genius.

Aber wir vermischen sie oft - und das ist unser Fluch. Siehe auch Ich-Entwicklung und Entwicklungspsychologie.

Jeder selbstgewählte Lebenssinn, selbst der religiös inspirierte, sollte nicht den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen (Gottesbeweis). Wer sich als einsame Krone der Schöpfung fühlt und deswegen meint, mit anderen Lebewesen beliebig schalten und walten zu dürfen, gibt seinem Leben nicht Sinn, sondern Unsinn. Das Gleiche gilt für jemanden, der sein Denken und Handeln stur nach seinem Horoskop ausrichtet. Siehe auch Barnum-Effekt.

2. Universum, Erde und das Leben

Unser Universum entstand vor etwa 14 Milliarden Jahren in einer unvorstellbar gewaltigen Explosion aus einem winzigen Energiepunkt. Es war eine Explosion von elektromagnetischer Energie, also von Licht. Als das Universum sich dann ausdehnte, verdichtete sich ein Teil der Lichtenergie zu Materie, die sich langsam abkühlte und Atome bildete. Diese Atome waren Wasserstoffatome, die einfachsten und kleinsten aller Atome. Als sich immer mehr Licht in Materie verwandelte, wurde es im Universum dunkel.

Doch dann ballten sich riesige Wolken von Wasserstoffgas unter dem Druck ihrer eigenen Schwerkraft zusammen und erhitzten sich dabei so stark, dass Wasserstoffatome wie in einer Wasserstoffatombombe miteinander zu verschmelzen begannen und dabei ungeheure Energiemengen freisetzten. Die nuklearen Feuer der Sterne waren gezündet und schenkten dem Universum wieder Licht. Diese ersten Sonnen leuchteten bis ihr nuklearer Brennstoff sich erschöpfte. Siehe Sternentstehung und Galaxie.

Einige schleuderten bei ihrem Tod ihre Asche weit ins Weltall, andere explodierten und schmiedeten dabei schwere Atome, wie Kupfer, Gold und Uran, die es vorher nicht gegeben hatte. Die Sternenasche verdichtete sich wiederum zu Wolken und erhitzte sich dabei, so dass schliesslich auch in diesen Wolken nukleare Feuer zu brennen begannen.

Unsere Sonne ist ein solcher Stern der späteren Generation. Als sie sich vor etwa viereinhalb Milliarden Jahren aus einer Gaswolke zusammenzog, verlor sie die äusseren Schichten und gebar so die Planeten - wie unsere Erde.

Ursprünglich war diese Erde, wie alle Planeten unseres Sonnensystems, eine glühend heisse Kugel. Als sie sich so weit abgekühlt hatte, dass sich an ihrer Oberfläche eine feste Kruste bilden konnte, kollidierte sie mit einem riesigen Meteor oder einem verirrten Planeten, der sie wieder in einen flüssigen Feuerball verwandelte und ihr dabei den heutigen Mond entriss.

Als dann nach einigen 100 Millionen Jahren wieder Ruhe einkehrte, regte sich auf diesem geschundenen Planeten Leben.

Ein Bild der Cartwheel Galaxy, aufgenommen mit dem Hubble Space Telescope der NASA / ESA.© Public Domain, ESA/Hubble & NASA, Wikipedia

Wie es entstanden ist, werden wir wohl nie mit letzter Sicherheit wissen. Das irdische Leben könnte wie ein Teil unseres Wassers von Kometen, wasserreichen Asteroiden (Protoplaneten) und transneptunischen Objekten stammen. Möglich ist aber auch, dass es sich in heissen Meteorkratern oder Vulkanschächten bildete, die der Natur als chemische Retorten dienten.

In diesen Retorten bildeten sich viele der komplexen Moleküle, die für lebende Zellen typisch sind

In diesen Retorten bildeten sich viele der komplexen Moleküle, die für lebende Zellen (siehe Lebewesen) typisch sind: Aminosäuren, die als Bausteine unserer Eiweisse (siehe Protein) dienen; Fette, aus denen unsere Zellmembranen bestehen; und auch die vier Grundbausteine unserer Erbsubstanz DNS, von der ich gleich sprechen werde.

Diese Moleküle lagerten sich zu immer komplexeren Aggregaten zusammen, bis schliesslich eines dieser Aggregate sich fortpflanzte, seine Zusammensetzung und seine Funktionsweise in Genen niederschrieb und sich zu immer höheren Lebensformen entwickelte. Diese spontane Entstehung des Lebens war unendlich unwahrscheinlich, doch weil die Natur sie über Hunderte von Millionen Jahren unendlich oft versuchte, fand sie dennoch statt.

Es brauchte ja nur ein einziges erfolgreiches Experiment unter diesen Abermilliarden Experimenten, um den Funken des Lebens zu zünden. An diesem wundersamen Baum des Lebens sind wir Menschen nur ein kleiner und später Zweig.

Zeigt dies die Bedeutungslosigkeit des Menschen? Keineswegs!

Die moderne Biologie hat uns gelehrt, dass wir Menschen die komplexeste Form der Materie sind, die wir bisher im Universum gefunden haben.

Die Komplexität eines Objekts ist ein Mass für die Menge an Information, die es braucht, um dieses Objekt vollständig zu beschreiben.

Müsste ich die Zusammensetzung eines einfachen Minerals in chemischer Schrift beschreiben, bräuchte ich dafür vielleicht eine Seite. Müsste ich jedoch den chemischen Aufbau eines Menschen beschreiben, dann bräuchte ich dafür, falls ich es überhaupt könnte, millionenfach mehr Platz. Die immense Menge an Information, die es braucht, um einen menschlichen Körper zu beschreiben, ist in unserem Erbmaterial, der sogenannten DNS niedergeschrieben.

DNS und Erbgut

Wahrscheinlich wissen Sie, dass DNS aus fadenförmigen Riesenmolekülen besteht, in der vier verschiedene chemische Bauteile in immer wechselnder Reihenfolge wie Perlen in einer Halskette aneinandergereiht sind. Diese vier Bauteile sind vier Buchstaben, deren Reihenfolge eine chemische Schrift ergibt. In dieser Schrift ist niedergeschrieben, welche Eiweisse wann unser Körper erzeugen und wo er sie ablagern soll.

Unser Erbgut enthält 6,4 Milliarden dieser vier chemischen Buchstaben, die in gedruckter Form eine Bücherreihe von über 100 m Länge ergeben würden.

Könnte man die DNS-Fäden aller heute lebenden Menschen zu einem einzigen Faden vereinen, dann wäre dieser Faden zwanzigmal länger als die Entfernung von der Erde zum Mond.

Wir Menschen sind eine höchst exklusive Aristokratie hoch komplexer Materie, die nicht nur die Umwelt wahrnehmen und denken, sondern auch über sich selber nachdenken kann.

3. Genetik und Epigenetik

Doch wie unabhängig sind wir in unserem Denken? Wie gross ist unsere Autonomie? Bis vor kurzem schien es, dass jeder von uns eine streng von Genen gesteuerte biochemische Maschine ist. Dies würde bedeuten, dass die Gene, die wir von unseren Eltern (eigentlich Vorfahren) erben, unser Tun und Denken von der Geburt bis zum Tod bestimmen. Dies ist eine bedrückende Vorstellung, denn sie spricht uns Entscheidungsfreiheit und sittliche Verantwortung ab.

Nun aber zeigen neuere Erkenntnisse der Biologen, dass unsere Gene nicht unerbittliche Gesetzbücher sind, sondern dass wir einige dieser Gene während unserer Lebenszeit verändern können: durch unseren Lebensstil, durch unsere Essgewohnheiten und durch die Wahl der Menschen, mit denen wir Umgang pflegen.

Wir nennen diese erworbenen Veränderungen unseres Erbguts „epigenetische“ Veränderungen.

Darstellung der Vererbung und der Rolle der Epigenetik: Die Rolle der Epigenetischen Fixierung.© CC-by-sa 3.0, B.Kleine, Wikipedia

Lassen Sie mich den Unterschied zwischen einer Mutation und einer epigenetischen Veränderung anhand eines Beispiels erläutern.

Klassische Mutationen verändern die Reihenfolge der vier Buchstaben im DNS Faden; epigenetische Veränderungen modifizieren lediglich einzelne Buchstaben.

Wenn wir für die vier verschiedenen Gen-Buchstaben die vier Buchstaben a, b c und h unseres Alphabets verwenden, dann würde das Sinn ergebene Wort „bach“ in einer Mutation zu sinnlosen Buchstabenfolgen wie z. B. „bbch“ oder „aach“. In einer epigenetischen Veränderung würde „bach“ jedoch zu „bäch“ - der Buchstabe a wird nicht ausgetauscht oder entfernt, sondern nur durch ein Umlautzeichen markiert.

Wenn dies mit dem Erbmaterial einer Ei- oder Samenzelle geschieht, können die epigenetischen Veränderungen an die nachfolgenden Generationen weitervererbt werden.

Der französische Biologe Jean-Baptiste de Lamarck hatte bereits vor mehr als 200 Jahren behauptet, dass wir Eigenschaften, die wir während unserer Lebenszeit erwerben, an unsere Nachkommen weitergeben können.

Der Siegeszug der Evolutionstheorie von Charles Darwin, die auf zufällige Variation und gezielte Selektion setzte, drängte Lamarcks Ideen lange Zeit in den Hintergrund. Heute wissen wir jedoch, dass beide Wissenschaftler Recht hatten. Die Natur kümmert sich eben nicht um Theorien von Gelehrten, sondern benützt jeden nur möglichen Weg, um Lebewesen an ihre Umwelt anzupassen.

Versetzt man einer Maus einen leichten Elektroschock, dann zuckt sie zusammen. Sie tut dies auch, wenn sie dabei einen bestimmten Duftstoff riecht.

Nach mehrmaliger Wiederholung zuckt die Maus auch dann zusammen, wenn sie nur den Duftstoff riecht und vererbt diese Furchtreaktion an ihre Nachkommen, die nie den Duftstoff gerochen oder einen Elektroschock erlitten hatten.

Axone und Dendriten „suchen und finden“ sich in der Entwicklung ohne ein Detail im Genom.© CC-by-sa 2.0, neurollero, Wikipedia

Siehe auch Vermeidungsverhalten.

Die Furchtreaktion vererbt sich auch dann, wenn die Nachkommen von unbehandelten Leihmüttern aufgezogen oder durch in vitro Befruchtung gezeugt werden.

Diese epigenetische Vererbung verändert Gene, welche die Erkennung von Duftstoffen steuern.

Die erworbene Furcht vor einem Duftstoff ist also erblich - und zwar mit so hoher Effizienz, dass es sich nicht um klassische Mutationen handeln kann, die ja sehr selten sind. Dennoch ist das Erbmaterial (DNS) daran beteiligt, denn bei dieser vererbten Furchtreaktion werden genau diese Gene epigenetisch verändert, welche die Erkennung von Duftstoffen steuern.

Obwohl diese Befunde an Tieren erhoben wurden, sind sie mit höchster Wahrscheinlichkeit auch für uns Menschen bedeutsam. Es gibt viele Hinweise dafür, dass Unterernährung (Hunger) oder andere Belastungen der Eltern das Verhalten und die körperliche Gesundheit der Kinder und Enkelkinder beeinflussen können, selbst wenn diese Nachkommen nie Hunger oder die Belastungen der Eltern am eigenen Leib erlebt haben.

Ein guter Sozialarbeiter weiss, dass in den grossen Gettos dieser Welt Drogenabhängigkeit, Depression und Gewaltbereitschaft einen unglücklichen Teufelskreis bilden, der eine Generation nach der anderen gefangen hält.

4. Verantwortung und Einmaligkeit

Was haben diese Befunde mit der Suche nach dem Sinn des Lebens zu tun? Sehr viel, denn sie bedeuten, dass jeder von uns zum Teil für seine eigenen Gene verantwortlich ist.

Ja mehr noch, wir sind zum Teil auch für die Gene der Menschen mitverantwortlich, mit denen wir Umgang pflegen, vor allem wenn diese Menschen von uns abhängig sind.

Und wenn wir das Erbgut dieser Menschen beeinflussen, dann könnten wir auch das Erbgut von deren Kindern und Enkeln verändern.

Diagramm einer ganzen Nervenzelle. Neuronen sind elektrisch erregbare Zellen des Nervensystems.© Public Domain, LadyofHats, Wikipedia

Nichts zeigt uns deutlicher, wie eng wir in das Netz des Lebens eingebunden sind und wie sehr wir dazu beitragen können, dieses Netz menschlicher zu gestalten. Wenn wir ins Leben treten, macht uns erst die Wechselwirkung mit unserem sozialen Umfeld zu Menschen.

Unsere Gene bestimmen die Grenzen dessen, was wir sein können, doch unser Umfeld und wir selbst bestimmen dann, was wir tatsächlich werden.

Für jeden denkenden Menschen ist diese biologische Erkenntnis eine Aufforderung, an sich zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass es den Menschen in unserer Umgebung gut geht. Dies ist eine Herausforderung, die ein wichtiger Teil meines eigenen Lebenssinns bildet.

Unser Gehirn enthält etwa 100 Milliarden Nervenzellen von denen jede mit hunderten oder sogar tausenden anderer Nervenzellen vernetzt ist. Dies erlaubt unendliche viele Kombinationen, die sich zum grossen Teil erst während der Reife zum erwachsenen Menschen ausbilden.

Die Zahl dieser Kombinationen übersteigt bei weitem die Zahl aller Menschen, die je gelebt haben, so dass jeder Mensch in seinem Denken und Fühlen einmalig ist.

Dies gilt selbst für eineiige Zwillinge, die ja im Wesentlichen die gleichen Gene besitzen. Diese Einmaligkeit jedes Menschen kommt dem am nächsten, was wir gemeinhin Seele nennen, die auch das Bewusstsein bzw. Selbstbewusstsein umfasst.

5. Warum sterben wir?

Die Komplexität unseres Körpers macht uns auch vergänglich. Unser Körper wendet sehr viel Energie auf, um seine hoch geordnete Struktur aufrecht zu erhalten, doch letztlich siegt immer das physikalische Gesetz, das besagt, dass die Unordnung der Welt unweigerlich zunimmt.

Unsere Gene arbeiten nicht präzise genug, um das komplexe Wechselspiel der Zellen in unserem Körper über Jahrzehnte hinweg verlässlich genug zu steuern.

Siehe auch Entwicklungsbiologie. Als Folge davon altern wir und erkranken im Alter oft an Krebs. Zudem sind unsere Körperbausteine für die heutige Erdatmosphäre nicht optimal geeignet. Das Leben entstand nämlich zu einer Zeit, als unsere Atmosphäre noch kein Sauerstoffgas enthielt und so konnten die frühen Lebewesen gefahrlos sauerstoffempfindliche Bausteine verwenden.

Als dann jedoch einige Lebewesen begannen, sich vom Licht der Sonne zu ernähren, setzten sie als Abfallprodukt Sauerstoffgas aus dem Meerwasser frei. Sauerstoffgas ist hoch korrosiv und zerstört viele unserer Körperbestandteile durch Oxidation. Dies betrifft vor allem die Netzhaut unserer Augen und unser Gehirn, was erklärt, weshalb diese Gewebe unseres Körpers vom Alter besonders betroffen sind.

Weltkarte schematisch mit Lebenserwartungen in verschiedenen Zonen mit Farbflächen unterschieden.© CC-by-sa 4.0, Panos84, Wikipedia
Lebenserwartung nach Ländern, Wikipedia, Life Expectancy 2005-2010 UN WPP 2006

Wir wissen nicht, wie lange ein Mensch leben kann, vermuten aber, dass die maximale Lebensspanne bei etwa 120 Jahren liegt. Kann es der Sinn unseres Lebens sein, diese maximale Lebensspanne mit allen verfügbaren Mitteln zu verlängern? In der Schweiz und auch in anderen Ländern gibt es Vereine, die sich dies zum Ziel gesetzt haben und behaupten, dass der Mensch, der mehrere 100 Jahre alt werden wird, bereits geboren ist.

Ich kann in einem solchen Bestreben keinen Sinn, sondern nur Unsinn erkennen.

  • Erstens erscheint es mir nach dem heutigen Wissensstand unmöglich, alle verschiedenen Lebensuhren unseres Körpers gleichzeitig anzuhalten.
  • Zweitens sollte es nicht unser Ziel sein, möglichst lange zu leben, sondern möglichst gesund zu sterben.
  • Und drittens ist das Leben ja gerade deswegen so kostbar, weil es endlich ist. Wer dies nicht akzeptiert, wird es schwer haben, glücklich zu sein.

6. Das grosse Fragezeichen und Bescheidenheit

Jeder, der nach dem Sinn seines Lebens sucht, muss damit fertig werden, dass am Anfang des Universums ein grosses Fragezeichen steht, das sich einer wissenschaftlichen Untersuchung entzieht. Wer das Universum als eine Schöpfung Gottes sieht, hat dieses Problem für sich bereits beantwortet. Wie bereits erwähnt begegne ich einem solchen Glauben mit Respekt.

Mir persönlich genügt es jedoch, dass am Anfang ein Fragezeichen steht. Es erinnert mich daran, dass unser menschliches Gehirn erst einige 100'000 Jahre alt ist und die Antwort auf dieses Fragezeichen sehr wahrscheinlich gar nicht begreifen könnte.

Als Biologe ist mir bewusst, dass wir die allerwichtigsten Fragen über uns und die Welt nicht einmal denken können.

Und selbst wenn wir eine Antwort auf dieses letzte Fragezeichen bekämen, lehrt uns die Wissenschaft, dass jede Antwort nur zu einer weiteren Frage führt. Naturwissenschaft lehrt uns Bescheidenheit. Es braucht diese Bescheidenheit, um dem eigenen Leben einen würdigen Sinn zu geben.

Vor dem Urknall steht ein Fragezeichen, das sich der Wissenschaft entzieht

Wer in diesem Fragezeichen einen göttlichen Schöpfer sieht, hat das Fragezeichen für sich beantwortet. Mir jedoch genügt das Fragezeichen. Wahrscheinlich könnte ich die Antwort darauf nicht begreifen - und wenn ich es könnte, lehrt mich die Wissenschaft, dass jede Antwort nur eine neue Frage aufwirft. Wissenschaft fordert Bescheidenheit. Auch dies ist Teil meines Lebenssinns.

Unsere privilegierte Stellung als hoch geordnete Materie in einem vorwiegend primitiven Universum, die Einmaligkeit jedes Menschen sowie die Tatsache, dass wir nicht Sklaven unserer Gene sind, sondern diese Gene zum Teil selber beeinflussen können, sind brauchbare Grundlagen für eine persönliche Sinnsuche.

Wissenschaft befasst sich vorwiegend mit dem Unbekannten oder, wenn Sie so wollen mit Träumen. Nichts bestätigt dies besser als die folgenden Worte, mit denen der russische Astronom und Denker George Gamow den Stellenwert des Menschen im Universum beschrieben hat.

"Das Universum brauchte weniger als eine Stunde, um Atome zu schaffen. Es brauchte einige 100 Millionen Jahre um Sterne und Planeten zu schaffen. Aber es brauchte 14 Milliarden Jahre, um den Menschen zu schaffen."

Redaktion

In gekürzter Form ist dieser Beitrag bei der Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am 20. Dezember 2014 (Nr. 296) auf Seite 57 unter "Literatur und Kunst" erschienen. Der Titel heisst dort "Urknall, Sternenasche und ein Fragezeichen".

Der Wiley-VCH Verlag hat folgende Bücher von Gottfried Schatz veröffentlicht:

  • Jenseits der Gene (Essays über unser Wesen, unsere Welt und unsere Träume),
  • Zaubergarten Biologie (Wie biologische Entdeckungen unser Menschenbild prägen)
  • und Feuersucher (Die Jagd nach dem Geheimnis der Lebensenergie).

Dr. Gottfried Schatz (1936-2015) war Professor der Universität Basel als Biochemiker.
Wikipedia: Gottfried Schatz war führend an der Aufklärung der Bildung von Mitochondrien beteiligt und ist Mitentdecker der mitochondrialen DNA.[4] Seine Erkenntnis, dass diese DNA jedoch nur für einige wenige Proteine kodiert, war ausschlaggebend für seine weiteren Forschungen, die sich mit den Import von Proteinen in die Mitochondrien und den Abbau von Proteinen innerhalb der Mitochondrien beschäftigten.

Schatz entdeckte ein komplexes Transportsystem, das Mitochondrienproteine, die im Zytoplasma gebildet werden, anhand spezifischer Signale erkennt und in die Mitochondrien einschleust. Dieses System beinhaltet zwei Proteinkomplexe, TOM und TIM, die jeweils in der äusseren und inneren Membran der Mitochondrien lokalisiert sind.[5] Mutationen in diesen Komplexen können den Proteinimport beeinträchtigen und Krankheiten wie das neurodegenerative Mohr-Tranebjaerg-Syndrom verursachen, das zu Taubheit führt.

Schatz zeigte zudem, dass die Protease Lon den Proteinumsatz in den Mitochondrien steuert und so die Funktion mitochondrialer DNA aufrechterhält. Der Biochemiker ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen, drei Essaybänden, einer Autobiografie und einem Roman.

Wikipedia nennt auch ca. 30 hohe Auszeichnungen inkl. zwei Ehrendoktorate für Gottfried Schatz.

Weiter führende Informationen zum Thema:

Beiträge bei Wikipedia:

  • Rare-Earth-Hypothese (Seltene-Erde-Hypothese) versus kopernikanisches Prinzip.
  • Das anthropische Prinzip (mit Stringtheorie) etc. versus Kreationismus.

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