Phytinsäure bzw. Phytat kann man durch Einweichen, Keimen oder durch Fermentierung reduzieren. Phytasen im Nahrungsmittel erlauben Abbau durch Verdauung.
Hülsenfrüchte weicht man vor dem Zubereiten in Wasser ein. Warum? Und: Wie steht es mit Nüssen und Vollkorngetreide? Was bezweckt man genau mit dem Einweichen und gibt es Alternativen zum Einweichen, wie zum Beispiel das Keimen?
Das Einweichen von Nüssen und Samen ergibt nur dann Sinn, wenn man sie öfter und in grösseren Mengen isst. Hülsenfrüchte hingegen sollte man aus zwei Gründen immer einweichen: zur Reduzierung der Phytinsäure und für das Lösen von blähungsfördernden Mehrfachzuckern.
Phytinsäure gehört zu den sekundären Pflanzenstoffen und kommt vorwiegend in den äusseren Randschichten von Vollkorngetreide, Nüssen und Samen sowie in Hülsenfrüchten vor. Sie schützt den Energiespeicher der Pflanze, den diese zum Wachstum benötigt. Phytinsäure übernimmt auch die Rolle, Fressfeinde wie Insekten und andere pflanzenfressende Tiere abzuwehren.
Phytinsäure besitzt komplexbildende Eigenschaften und bindet im Magen und Darm die vom Menschen mit der Nahrung aufgenommenen Mineralstoffe, vor allem Eisen, Zink, Calcium und Magnesium. Diese liegen dann in unlöslicher Form vor und stehen dem Körper nicht mehr so gut zur Verfügung. Leider ist das oft überbetont, denn schon das lange Kauen und die Säfte des Magens helfen stark, die Phytase wirken zu lassen. Der Begriff Phytase bezeichnet eine Gruppe von Enzymen, welche die Phytinsäure abbauen. Zudem hat die Phytinsäure auch positive Wirkungen.
Phytinsäure ist ein Inositolring mit 6 Phosphatgruppen (IP6). Diese Säure ist ein ganz natürlicher Stoff, der Pflanzen als Phosphorspeicher dient.
Wenn das Samenkorn genügend Wärme und Wasser zur Verfügung hat, erwacht Leben in ihm. Sobald der Keimprozess beginnt, bildet das Korn das Enzym Phytase. Die Phytase baut die Phytinsäure zu Zucker und Phosphat ab, wodurch sie diese inaktiviert und das darin gespeicherte Phosphat freisetzt. Dieses steht jetzt der Babypflanze als wichtiger Nährstoff für Wachstum und Entwicklung zur Verfügung. Die phosphathaltige Phytinsäure hat damit eine ähnliche Energiespeicherfunktion wie ATP (Adenosintriphosphat) im menschlichen Organismus.
Die Phytinsäure ist für den Keimling nützlich, doch nicht so für uns:
Phytinsäure hat aber auch positive Eigenschaften für uns:
Auch im menschlichen Organismus kommen Phytin und seine Abbauprodukte vor. Der Körper bildet sie selbst und nutzt sie insbesondere als Neurotransmitter, als Hormone und Wachstumsfaktoren wie z.B. Acetylcholin (ACh) oder ein Hormon mit antidiuretischer Wirkung, das die Wasserrückresorption in den Sammelrohren zwischen Nieren und Blase fördert.
Nicht nur Veganer oder Vegetarier sollten das lesen: Veganer essen oft ungesund. Vermeidbare Ernährungsfehler. |
Phytinsäure kommt in den Randschichten von Getreide und Nüssen vor. In Hülsenfrüchten ist sie im Inneren im Endosperm lokalisiert.
Auch Samen und Pseudogetreidearten enthalten Phytinsäure.
Besonders viel Phytinsäure - bzw. das Anion Phytat - ist in Mais, Soja sowie in Weizen-, Gersten- und Roggenkleie enthalten. Auch in der Erdnuss ist viel Phytinsäure enthalten. Hülsenfrüchte befinden sich phytinsäuremässig zwischen den Getreidearten und Quinoa.
Da weder Weissmehl noch polierter Reis Randschichten enthalten, sind sie verhältnismässig arm an Phytinsäure. Weisser Reis enthält noch ca. 240 mg. Allerdings fehlt Weissmehlprodukten und weissem Reis nicht nur ein Grossteil der ursprünglichen Phytinsäure, sondern - neben einer Reihe weiterer nützlicher sekundärer Pflanzenstoffe und Ballaststoffe - auch die meisten Mineralstoffe, die sich ebenfalls in den Randschichten befinden.
Zu berücksichtigen ist, dass die Menge Phytinsäure in einzelnen Nahrungsmitteln auch abhängig ist von der Art der Pflanze, den klimatischen Bedingungen, in denen die Pflanze gewachsen ist, der Bodenqualität und insbesondere vom Einsatz phosphathaltiger Düngemittel. Auch sollte man mit den Zahlenangaben sehr vorsichtig sein, denn je nach verwendeter Methode schwanken die Werte.
Zu unterscheiden ist auch, ob nur die tatsächliche Phytinsäure mit ihren 6 Phosphatgruppen oder auch ihre Derivate mit weniger Phosphatgruppen eingerechnet sind.
Phytinsäure: Gehalt einiger Lebensmittel (g/100g)
Lebensmittel | Minimum | Maximum |
4,3 | 4,3 | |
0,08 (?) | 3,61 | |
1,35 | 3,22 | |
2,15 | 2,87 | |
2,38 | 2,38 | |
0,75 | 2,22 | |
1,00 | 2,22 | |
0,95 | 2,32 | |
0,96 | 1,16 | |
0,42 | 1,16 | |
0,84 | 0,99 | |
0,98 | 0,98 | |
0,65 | 0,65 | |
0,56 | 0,94 | |
0,14 | 0,6 | |
0,44 | 0,5 | |
0,54 | 0,5 |
Die Aktivierung des Enzyms Phytase erfolgt sowohl beim Einweichen, beim Keimungsprozess, bei der Herstellung von Sauerteig und bei der Milchsäuregärung als auch während der Verdauung. Dabei kann bereits längeres Kauen einen Teil der Phytinsäure abbauen. Siehe unten.
Zudem kann das Entfernen der Aleuronschicht durch Schälen und Vermahlen beim Getreide den Phytinsäuregehalt (aber auch den Mineralstoffgehalt!) deutlich verringern.
Das Einweichen und Keimen in Verbindung mit Wärme, Wasser und Licht aktiviert metabolische Prozesse im Samenkorn, die einen enzymatischen Um- bzw. Abbau verschiedener Stoffe bewirken. Die Nährstoffe sind nach der Keimung für uns Menschen verfügbar. Die aktivierte getreideeigene Phytase baut die Phytinsäure enzymatisch ab. Das Einweichwasser soll man jeweils nicht mehr weiterverwenden, da darin noch gelöste Phytinsäure vorhanden sein kann.
Beim Abbau der Phytinsäure entstehen Phytinsäure-Derivate, die eine unterschiedliche Anzahl Phosphatgruppen gebunden haben. Phytinsäure selbst hat 6 Phosphatgruppen. Der Inositolring verliert nicht alle Phosphatgruppen auf einmal, sondern sie fallen einzeln nach und nach weg.
Ziel ist es also, möglichst hohe Phytaseaktivitäten zu erreichen. Die Industrie setzt deshalb häufig Phytasen aus Bakterien oder Pilzen isoliert hinzu, um den Abbau zu beschleunigen.
Zu Hause kann man sich die unterschiedlichen Phytaseaktivitäten der Pflanzen zunutze machen, indem man Nahrungsmittel, die wenig Phytaseaktivität aufweisen, mit „phytaseaktiven“ Nahrungsmitteln kombiniert.
Roggen, Weizen und Buchweizen haben relativ hohe Phytaseaktivitäten. Kichererbsen, Mais, Reis, Hafer und Sojabohnen haben eine geringe Phytaseaktivität.8 Wer Gluten verträgt, fügt also einfach etwas Roggen oder Weizen hinzu. Wer Gluten nicht verträgt, nutzt Buchweizen als „Beschleuniger“.
In einer Studie unter Laborbedingungen kamen geschälter Reis (30 %) und Kichererbsen (60 %) zum Einsatz, während Buchweizen (10 %) als Phytasebeschleuniger diente. Nach 200 Minuten war die Phytinsäure beim Einweichen mit Buchweizen komplett abgebaut, wohingegen ohne Buchweizen nach 200 Minuten noch so viel Phytinsäure vorhanden war wie nach 120 Minuten mit Buchweizen.8
Die Zugabe von phytaseaktiven Nahrungsmitteln kann die Abbauzeit der Phytinsäure somit verringern.
Hitze zerstört das Enzym Phytase, also das Enzym, das die Phytinsäure abbaut.9 Die Industrie behandelt Hafer und Haferflocken praktisch immer mit Hitze, was man "gedarrt" nennt, aber auf dem Produkt nicht auszeichnet! Es ist sehr schwierig, Hafer in Rohkostqualität zu kaufen - oder gar Haferflocken. Deshalb wäre es besser, Nackthafer oder biologischen Spriesskornhafer zu kaufen, diesen selber mit einer Mühle / einem Flocker in Haferflocken zu verwandeln. Wer in einer Mangelsituation für die Nährstoffe Calcium, Zink, Eisen, Magnesium und/oder Mangan ist, kann diese danach über Nacht in Wasser einlegen. Das Einweichwasser am nächsten Morgen wegschütten und die Haferflocken weiterverarbeiten.
EE: Beim Erb-Müesli habe ich jahrzehntelange tägliche Erfahrung mit kurzer Einweichzeit einer Kombination von Samen und selbst täglich geflocktem Spriesshafer. Diese beträgt nur die Verarbeitungszeit bis man beginnt zu essen. Es mag Vorteile geben, wenn man das Müesli etwas stehen lässt, bevor man es isst. Die hatte ich aber nie nötig. Siehe meinen "Zustand" mit 80 oder mit 83.
Wer dennoch Hafer keimen möchte: Das Mälzen von Hafer für 5 Tage bei 11 °C und anschliessender Ruhezeit von 17 Stunden bei 37-40 °C führt zu einer 98 % Reduktion des Phytatgehalts.18
Beim Einweichen lösen sich ausserdem die schwer verdaulichen Kohlenhydrate (wie der Mehrfachzucker Raffinose und die zur Raffinose-Familie gehörende Stachyose und Verbascose) zumindest teilweise.
Der Dünndarm kann die Raffinose nur in geringem Umfang spalten und resorbieren. Raffinose besteht aus Fruktose, Glukose und Galaktose. Für den Menschen ist es normalerweise kein Problem, die Fruktose und die Glukose zu verdauen. Für die Galaktose fehlen uns aber entsprechende Enzyme. Dies hat zur Folge, dass grössere Mengen in den Dickdarm gelangen. Die dort vorhandenen anaeroben Mikroorganismen der Darmflora verwerten die Galaktose und produzieren dabei unter anderem Gase, die zu Blähungen führen. Da sich im Quellwasser ein Teil der Raffinose löst, sollte man das Einweichwasser auch aus diesem Grund nicht mehr nutzen.
An der Fermentation oder Milchsäuregärung sind Mikroorganismen beteiligt, die ebenfalls das Enzym Phytase besitzen. Dieses baut während der Fermentation die Phytinsäure ab. Optimale Bedingungen für die Enzymtätigkeit sind ein pH-Wert von 4,5 sowie Temperaturen zwischen 45° und 55 °C. Diesen pH-Wert erreicht man bei der Teigzubereitung mit Sauerteig.9
Unter optimalen Bedingungen kann Fermentierung den Phytinsäuregehalt um bis zu 90 % abbauen.9 Gerichte aus fermentiertem Getreide, aber auch aus Samen, Nüssen und Hülsenfrüchten findet man in vielen traditionellen Kulturen - in Kombination mit Methoden wie Einweichen (und danach Fermentieren) oder Keimen (und Rösten)19,20. Das sind natürliche Methoden mit dem Ziel, sowohl die Verdaulichkeit als auch den Gesundheitswert dieser Nahrungsmittel zu erhöhen.10 Beispiele solcher Gerichte sind Kishk (aus Arabien), Banku (aus Ghana), Mawe (aus Afrika) und Injera (aus Äthiopien).
Der Körper kann Phytinsäure auch im Magen-Darm-Trakt abbauen, jedoch scheint hier eine direkte Abhängigkeit zum Vorhandensein von aktivierten Phytasen in der Nahrung selbst zu bestehen: Sind sie in der Nahrung vorhanden (z.B. durch Fermentierung oder bei Rohkost), kann der Körper Phytate zu insgesamt 37-66 % abbauen. Die durch Erhitzen oder andere Verarbeitungs-Schritte inaktivierte Phytase verringert den Abbau von Phytaten im Magen-Darm-Trakt auf 0 - 28 %.11,13
Das Einweichen von Bohnen über 24 h und anschliessendes längeres Kochen kann 50 % der Phytinsäure reduzieren. Eine Studie mit Erbsen und Linsen ergab sogar 80 %. Hülsenfrüchte enthalten allerdings weniger Phytase als die meisten Getreide, und es gibt auch Studien, die von einer Reduktion der Phytinsäure beim Einweichen von Hülsenfrüchten um weniger als 10 % berichten. Die Einweichzeiten der Hülsenfrüchte unterscheiden sich voneinander und liegen zwischen 6 und 24 h.
Es gibt bislang nicht genug adäquate Informationen über das Einweichen und Keimen von Nüssen, um mit Sicherheit sagen zu können, wie viel Phytinsäure man damit abbauen kann.
Viele Urvölker in Amerika legten ihre Nüsse in Wasser ein und liessen sie anschliessend trocknen oder rösteten sie.
Beim Genuss von grossen Mengen an Nüssen - wie beim Verwenden von Mandelmehl statt herkömmlichem Mehl beim Backen oder dem täglichen Verzehr von Erdnussbutter - kann es zu hohen Dosen an Phytinsäure kommen.
Man weiss aber, dass Zitronensäure die Aufnahme von Mineralien trotz Phytinsäure signifikant verbessern kann. Ein Glas Orangensaft oder ein Spritzer Zitronensaft zu einer nussreichen Mahlzeit kann durchaus helfen, die Eisenaufnahme wesentlich zu verbessern. Siehe Erb-Müesli.
Wann ist es von Vorteil, Nüsse einzuweichen?
Wann ist es nicht vorteilhaft, Nüsse einzuweichen?
Eine Ausnahme bildet die Kokosnuss, die allerdings auch keine Nuss ist, sondern zu den Steinfrüchten zählt. Sie enthält keine oder sehr geringe Mengen an Phytinsäure. Die Kokosnuss gilt seit Jahrhunderten als ein traditionell rohes Lebensmittel, das die Menschen in den Ursprungsländern seit je her ohne "Verarbeitung" geniessen. Sie weist allerdings ein sehr schlechtes Verhältnis zwischen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren auf und enthält zu viele gesättigte Fettsäuren (siehe Kokosöl).
In einer Studie hat man die Reduktion von Phytinsäure in Quinoa untersucht und festgestellt, dass das Einweichen vor dem Kochen den Phytinsäure-Anteil um ca. 50 % reduziert. Fermentieren vor dem Kochen reduziert die Phytinsäure sogar um ca. 60 %. Kochen reduziert hingegen nur um 20 %.12
Beim Braunen Reis, der einen hohen Anteil an Phytinsäure besitzt, ist der Einfluss des Einweichens geringer. Ähnlich sieht es beim Hafer aus, weil er gedarrt ist.
Bei unbehandeltem (unerhitztem) Reis und Hafer zeigt sich allerdings eine bessere Reduktion der Phytinsäure durch Einweichen. Dies verursacht der höhere Anteil des Enzyms Phytase, das ursprünglich in diesen Getreidearten enthalten ist.12,13 Zudem kann man den Vorgang sehr beschleunigen, indem man Orangen- und/oder Zitronensaft verwendet, um nur ganz kurz den Nährwert von Samen oder Getreide zu verbessern. Mandal und Biswas zeigten 1970, dass es bei der Mungobohne umgekehrt ist (pH 7,5 günstigster Wert bei 57 °C, gem. Paula Brünig 2009).
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen angekeimten Samen (1), Keimlingen (2), Sprossen (3) und Sprossengrün (4). Beim angekeimten Samen, typisch 24 Std. Keimdauer, hat der Samen die eigentlichen Lebenskräfte freigesetzt (z.B. Zitronensäure, Apfelsäure etc.) und die Testa (Samenschale) durchbrochen: Der Keimling ist vielleicht einen mm gross, ein richtiges "Vitalprodukt" oder Superfood. Dieser Keimling spriesst (wächst) im feuchten Umfeld (warm, manchmal dunkel) zu Sprossen (3) und setzt dann Blätter (4) an. Noch immer sind es die Inhaltsstoffe des Samens, die das Wachstum erlauben. Ist dieser Vorrat erschöpft, beginnt der Keimling ohne weitere Stoffe (wenn Same sehr klein) abzusterben (zu verhungern) und die Destruenten (Bakterien/Pilze) können ihn angreifen. Grössere Samen bringen es zu grösseren Keimlingen, zu Sprossen. Beim Pflanzen oder in einer Nährlösung entwickelt sich das Sprossengrün, schliesslich die Pflanze.
Wie lange das Einweichen dauert, ist von Hülsenfrucht zu Hülsenfrucht und von Korn zu Korn unterschiedlich. Häufig ist es am einfachsten, über Nacht in der doppelten Menge Wasser einzuweichen. Den Samen kann man auch ertrinken lassen - und die Destruenten erscheinen: Also im Zweifelsfall die kürzere Zeit dann nehmen, wenn man keimen möchte; die längere, wenn man direkt essen möchte.
Einige Richtwerte für die Einweichdauer wie auch für die Keimzeiten sind in der Tabelle unten angegeben. Die Einweichzeiten gelten sowohl für das Keimen als auch für das Essen oder Kochen - in der nächsten Spalte.
Die Kochzeit danach ist sehr unterschiedlich und beträgt zwischen 30 min und 180 min (rote und gelbe Linsen nur 15 min). Man sollte Getreide und Hülsenfrüchte nur kurz aufkochen und dann bei kleiner Hitze garen. Wenn die Hülsenfrucht oder das Getreide einen weichen Biss haben, sind sie ausreichend gekocht.
Sprossen und Keimlinge sind kleine gesunde Nährstoffspender, die man leicht selbst ziehen kann, wenn man einige Hinweise beachtet. Siehe die Anleitung. In den kleinen Samenkörnern ist alles vorhanden, was die Pflanze für das spätere Wachstum benötigt, u.a. zahlreiche Vitamine und Mineralstoffe.
Sprossen sind aufgeschlossene Nahrung. Sie sind sozusagen vorverdaut. So kann man auch Getreide gekeimt leicht roh essen. Während des Aufkeimens bilden sich zahlreiche komplexere Nährstoffe und Enzyme, die den Keimling noch viel wertvoller machen als die blossen Samen. Allerdings beginnt nach 24 bis 48 Stunden der Umbau in eine Pflanze und zahlreiche "Lebensstoffe" wandeln sich wieder in "gewöhnliche" um.
Als Keimling bezeichnet man das junge Pflänzchen, das sich frisch aus dem Keim entwickelt. Es umfasst sowohl die sich später entwickelnden Wurzeln als auch die oberirdischen Teile. Hingegen sind die Sprossen streng genommen nur die oberirdischen Teile, also nur Stängel und Blättchen.
Unter Keimdauer ist in der unten stehenden Tabelle die Zeit zu verstehen, die ein Samen braucht, um so weit zu wachsen, dass man ihn als Sprosse ernten kann.
Grundsätzlich lassen sich alle Getreidesorten keimen, ebenso Körner wie Sonnenblumenkerne oder Pseudogetreide wie Quinoa und Canihua. Hülsenfrüchte und Nüsse kann man ebenfalls zum Keimen bringen.
Allerdings ist die Qualität der Lebensmittel und die Art ihrer Verarbeitung ausschlaggebend. Nicht jeder Samen, den man im Handel bekommt, kann keimen. Bioqualität ist sehr zu empfehlen, da diese Nahrungsmittel frei von Keimhemmern sein sollten. Ausserdem muss das Nahrungsmittel Rohkostqualität aufweisen, um keimen zu können.
Es ist wichtig zu wissen, dass das Wasser nur den Impuls für das Keimen bilden soll, beim Keimprozess der Keimling aber unbedingt Sauerstoff haben muss, weil sonst das Wachstum stoppt und der Keim stirbt. Dann leiten Bakterien und Pilze einen Faulungsprozess ein. Damit dient der Keimling wieder als Nahrung für Pflanzen, jedoch nicht für uns. Sauberkeit ist oberstes Gebot.
Die verschiedenen Pflanzen tolerieren auch ganz unterschiedliche Dauer unter Wasser, bevor sie sterben. Doch wenn der Keimling atmen kann, keimt er so weit aus, bis die Reserven erschöpft sind – oder die Wurzeln genügend Nahrung erhalten.
Zur Sprossenzucht braucht es nicht viel. Ein Anzuchtgerät, Bio-Samen sowie etwas Geduld sind erforderlich. Im einfachsten Fall reicht zur Anzucht bereits ein sauberes Schraubglas mit einem Deckel, in den man einige Löcher bohrt. Wer häufiger Keimlinge und Sprossen geniessen möchte, für den empfiehlt sich ein Keimglas oder ein Etagen-Anzuchtgerät.
1. Gläser vorbereiten
Die Gläser und Werkzeuge sollten ausgekocht und sauber sein, da die jungen Pflänzchen sehr anfällig auf Schimmel sind.
2. Samenkörner spülen
Auch das verwendete Saatgut soll sauber sein. Dazu spült man die Samen ausgiebig mit Wasser über einem Sieb.
3. Samenkörner einweichen
Die Samen muss man vor dem eigentlichen Keimen für mehrere Stunden in Wasser einweichen. Mit dem aufgesaugten Wasser können die Samen den Keimungsprozess starten. Die Einweichdauer variiert zwischen 4 und 12 Stunden (siehe Tabelle unten), bei Reis dauert es länger.
4. Wachstum der Sprossen
Nach dem Einweichen spült man die Samen zum ersten Mal, indem man das Einweichwasser weggiesst und mit frischem Wasser auf- und wieder abgiesst. Während der Keimdauer sollen die Gläser an einem hellen, aber nicht sonnigen Ort stehen. Andere sollten im Dunkeln keimen (Dunkelkeimer). Damit keine Staunässe entsteht, stellt man die Gläser mit der Öffnung (Siebdeckel oder wasserdurchlässiges Gewebe) nach unten auf. Dies so, dass das Wasser abfliessen kann. Zwei- bis dreimal täglich spült man die Keimlinge mit frischem Wasser und lässt sie wieder gut abtropfen.
Einige Samenarten bilden nach ein bis drei Tagen mit weissem Flaum bedeckte Wurzeln. Diese sollten Sie nicht mit Schimmel verwechseln.
5. Ernte
Nach der empfohlenen Keimdauer spült man die Sprossen ein letztes Mal und kann sie dann frisch und knackig roh geniessen. Sie können auf vielfältige Weise frische Speisen und Salate bereichern.
Verschiedene Webseiten empfehlen das Blanchieren von Sprösslingen der Mungo-Bohne - meist einfach von anderen abgeschrieben ... Es gibt keinen Grund dazu.
Getreidekeimlinge liefern eher einen milden und süssen Geschmack, Radieschen, Kresse und Linsen einen scharfen, pikanten. Bohnen und Sonnenblumenkerne schmecken nussig.
Zu beachten (Hinweis auf diese Informationen in der nachfolgenden Tabelle durch drei Sterne: ***)
Hülsenfrüchte nie roh essen: Sie enthalten das giftige Protein Phasin. Das Protein denaturiert nach 20 Minuten Kochzeit und ist ab dann ungiftig. Eine Ausnahme bilden Erbsen und Zuckererbsen, die man direkt roh essen kann. Hingegen nach der angegebenen Einweichzeit plus Keimdauer sind Hülsenfrüchte ebenfalls roh essbar und besonders gesund.
Schleimbildende Keimsaaten: Basilikum, Buchweizen, Chia, Kresse, Leinsaat, Rucola (Rauke), Senf.
Dunkelkeimer: Ackerbohnen, Adzukibohnen, Amaranth, Anis, Blumenkohl, Brokkoli, Erbsen, Kichererbsen, Rote Bete. Normalerweise grössere Samen, die sich aus eigener Kraft bis ans Licht kämpfen können. Besonders Hülsenfrüchte lassen sich ganz einfach mit Papiertaschentuch oder Watte zugedeckt keimen, um z.B. Kindern den Vorgang zu zeigen.
Besonders geeignet für den Rohverzehr nach dem Keimen:22 Amaranth, Bockshornklee, Braunhirse, Dinkel, Fenchel, Kresse, Leinsamen (Leinsaat), Rote Bete, Rucola (Rauke), Senf, Sonnenblume, Weizen.
Besonders beliebt: Kresse (Kindergarten etc.), Alfalfa, Brokkoli, Radieschen, Mungobohnen (einfach).
Saaten: Keimlinge aus ölhaltigen Samen wie Leinsamen (Leinsaat), Sesam, Chia, Sonnenblumenkerne sind anfälliger auf Verderb. Das Saatgut muss besonders einwandfrei sein. Besser nur ankeimen lassen.
Alfalfa: Frisch und salatartig (besonders gesund21). Lichtkeimer.
Bockshornklee: Würzig, bei längerer Keimdauer bitter.
Erbsen-Grünsprossen (Pea shoots): Dunkelkeimer - und haben wie auch Feuerbohnen (Achtung Lektine) im Boden verbleibende Keimblätter (hypogäische Keimung), während das Keimblatt bei der epigäischen Keimung später abstirbt (steamykitchen com), aber die erste Photosynthese vollzieht, bis die Folgeblätter kommen. Zuckererbsen kann man mit ihren zarten Schoten direkt essen.
Kidneybohnen: Dunkelkeimer. Sorte der Gartenbohne. Rote Kidneybohnen (Phaseolus vulgaris) sind leicht verwechselbar mit der Adzukibohne (Vigna angularis) oder der Feuerbohne (Phaseolus coccineus).
Leinsamen: Neigen zum Schleimen, öfter spülen.
Linsen (4-5 mm sind Zuckerlinsen; Mittellinsen (5-6 mm), Tellerlinsen (6-7 mm), Riesenlinsen sind grösser): Dunkelkeimer. Samen keimen nur, solange sie roh sind und weder verdorben noch geschält! Weil man auf Webseiten auch die rote und gelbe Linse sieht, führen wir sie ebenfalls in der Liste, doch die keimen nicht mehr, da geschält, wie auch geschälte Tellerlinsen. Gelbe Linsen entstehen durch das Schälen brauner oder grüner Linsen. Ungeschälte rote Linsen haben eine dunklere Schalenfarbe (je nach Ursprungsland), weshalb man sie im Handel oft als braune, violette oder schwarze Linsen bezeichnet. Siehe dazu die Zutat Linsen, roh.
Lupinen: Dunkelkeimer. Sind ein Spezialfall, denn man legt sie bei traditionellen Sorten 14 Tage in Salzwasser.
Mungobohnen: Dunkelkeimer. Sind besonders einfach zu handhaben - benötigen Dunkelheit, wenn sie schmecken sollen! Zum Einweichen brauchen sie viel mehr Wasser, da sie bis zu 7-mal mehr Wasser aufnehmen können, als ihr Trockengewicht ausmacht. Raumtemperatur ab 18 bis 22 Grad (oder mehr) und man sollte sie 3-mal pro Tag wässern beim Keimen. Roh essbar sind sie nach 3 Tagen Keimzeit. Nach dem vierten Tag sind sie verfärbt, herber im Geschmack und nicht mehr so zart. Diese Bohne ist bekömmlicher als die europäische Gartenbohne (enthält z.B. kein Phasin) und verursacht keine Blähungen (keine nicht verdaubaren Dreifachzucker enthaltend). Für Anfänger gut geeignet. Siehe Mungobohnensprossen.
Weizen und Roggen: Süsslich, nur im Jungstadium wohlschmeckend.
Bemerkungen zur nachfolgenden Tabelle:
|
Hülsenfrüchte | Einweichzeit (h) | Keimdauer (Tage) | Bemerkungen |
Ackerbohnen | 12-24 | 3 | Dunkelkeimer |
Adzukibohnen | (6-8) 12* | 3* | Dunkelkeimer |
Erbsen (Green peas) | (10-24) 8* | (3-4) 3* | Dunkelkeimer |
Erbsen, Grünsprossen** | (8-24) 8* | (bis 14) 1-7* | *** |
Kichererbsen | (6-24+) 12* | (3-4) 3* | Dunkelkeimer, mild nussig |
Kidneybohnen | 12 | 3-4 | *** |
Linsen (Tellerlinsen) | (8-12) 8* | (3-4) 3* | *** (gross) nussig |
Lupinen (süss) | (24-48) 5-12 | 2-3 | *** (bitterstoffarme) |
Mungobohnen | (6-12) 8* | (3-4) 3* | *** |
Linsen (ungeschält) | 0-2 | 3-4 | *** (rote, gelbe?) |
Schwarze Bohnen | 12 | 3-4 | Dunkelkeimer |
Sojabohnen | 12-15 | 3-4 | Dunkelkeimer |
Zuckererbsen | 8 | 1-7 | roh direkt geniessbar |
Getreide | Einweichzeit (h) | Keimdauer (Tage) | Bemerkungen |
Braunhirse | 4-12 | 1-3 | |
12 | 3-4 | mild, nussig, süsslich | |
Gerste | 6-12 | 2-3 | |
(6-8) 5* | (1-2) 1* |
| |
Mais (Zuckermais) | 12-24 | 3-4 | Dunkelkeimer |
12-24 | 2-3 |
| |
12 | 3-4 | *** | |
12 | 3-4 |
| |
Weichweizen** | 8* | 1-7* | = Weizengras |
12 | 2-4 | *** | |
Samen und Pseudogetreide | Einweichzeit (h) | Keimdauer (Tage) | Bemerkungen |
Alfalfa (Luzerne) | 4* | (7-8) 7* | *** |
Amaranth | (6-8) 3* | (3-5) 1* | Dunkelkeimer |
Anis | 10 | Dunkelkeimer | |
Basilikum | ? | ||
Blumenkohl | ? | Dunkelkeimer | |
Bockshornklee | (8) 6* | (3-4) 3* | *** (Fenugreek) |
Brokkoli | (6-12) 6* | (3-4) 7* | Dunkelkeimer, würzig |
Buchweizen** | (8-16) 6-8* | (2-3) 1-2* | |
Daikon | 8 | = Winterrettich | |
Fenchel | 10 | 7-10 | |
Grüner Salat | ? | ||
Hanf | 4-6 | 3-4 | Dunkelkeimer |
Klee (Clover) | 6* | 7* | |
Koriander | 4-12 | 10? | |
Kresse (Gartenkresse) | - | 3-6 | leicht scharf |
Leinsamen | 0-6 | 3-4 | |
Mangold | 8 | 8-10 | Grünsprossen |
Perilla | 12-24 | = Sesamblatt | |
Quinoa | (0,5-6) 3* | (6-7) 1* | |
Radieschen, Rettich | 6-12 | 2-5 | leicht scharf |
Rote Beete (Beet) | (8-24) 4* | 7* | Dunkelkeimer |
Rucola (Rauke) | - | 2-3, 6-7 | 6-7 = Grünkraut |
Senf | 6 | (2-5) 2-3 | leicht scharf |
Sesam | 2-4 | 2-5 | |
Nüsse, Kerne | Einweichzeit (h) | Keimdauer (Tage) | Bemerkungen |
6 | - | sind nie roh | |
8 | -? |
| |
(12) 4* | (3-5) 7* |
| |
4-12 | -? |
| |
(4) 8* | -? |
| |
8* | - |
| |
8* | -? |
| |
(6-12) 6* | (1-2) 1-2* | nussig | |
(6) 8* | -? |
| |
Wassermelonen | 8* | 7* |
Leider sieht man auf Webseiten oft andere Zahlen, beispielsweise für Quinoa eine Keimdauer von 6 bis 7 Tagen - völlig unrealistisch. Nicht nur brechen die Keimlinge beim Spülen leicht weg - sie können sich durch den kleinen Gehalt an Nährstoffen ohne Erde auch nicht weiterentwickeln und beginnen eher zu verderben. Nochmals: Beim Einweichen ist zu beachten, dass die längeren Zeiten in Klammern höchstens geeignet sind, wenn man nach dem Einweichen isst, ohne weiterzukeimen, denn der Keimling kann so ertrinken und beim Keimen entwickeln sich dann schädliche Mikroorganismen.
Wer so quasi die Blütezeit der Entwicklung von "Lebensstoffen" wie Zitronensäure, Apfelsäure etc. - also das eigentliche Superfood - geniessen möchte, legt lediglich einige Minuten ein (wenn überhaupt) und lässt dann 24 Stunden keimen, mehr nicht - ausser bei Reis.
Generell entstehen oder vermehren sich zu Beginn des Keimens, vor allem Vitamin, B1, Vitamin B2, Vitamin B6 und Vitamin K (bis zum Zehnfachen), Folsäure und Vitamin C. Der Aminosäuregehalt (Proteine, vor allem Lysin) steigt, wie auch der Gehalt an der Omega-3-Fettsäure ALA (alpha-Linolensäure). Ebenso nimmt die Enzymaktivität zu und der Anteil an Ballaststoffen. Ein (gewünschter) Abbau erfolgt für Phytinsäure, blähende Substanzen, Gerbstoffe (Tannine), Protease-Inhibitoren, Stärke-Gehalt, Kaloriengehalt (Wasser). Von alkaloidhaltigen Samen der Nachtschattengewächse (Auberginen, Kartoffeln, Paprika, Tomaten), Lupinen und Soja (biothemen de) darf man zumindest grüne Teile nicht essen. Solanin lässt sich nur durch Hitze vermindern, ganz im Gegensatz zu Phytin.
Ein ganz anderes Thema sind keimende Küchenabfälle, Gemüseresten etc. Randen, Sellerie, Zwiebeln und Knoblauch eignen sich vor allem dazu. Einfach in einen Teller mit etwas Wasser stellen und eine ausgetriebene Zwiebel oder Knoblauch ergibt ausgezeichnet schmeckende Triebe, die bis 15 cm lang werden dürfen. Natürlich lassen sich auch Ingwer und Kurkuma im Topf vermehren. Aber auch Sellerie wächst nach, Karotten, Romana-Salat, Kohlrabi, Lauch etc. Man kann das Grün essen oder zulassen, dass es sich in einem Topf zur Pflanze weiterentwickelt.
Wie viel Mineralstoffe der Körper im Endeffekt aufnimmt – auch wenn die Phytinsäure entfernt ist, ist trotzdem schlecht vorhersehbar und es gibt noch zu wenig aussagekräftige Studien.
Die Kombination der Nahrungsmittel spielt ausserdem eine grosse Rolle. So hat man in einer Studie die Phytate aus Getreidebrei für Kinder industriell entfernt und anschliessend die Eisenaufnahme untersucht. Rührte man den Brei, wie auf der Verpackung empfohlen, mit Milch an, war keine Verbesserung der Eisenaufnahme festzustellen. Rührte man den Brei mit Wasser an, war eine deutlich bessere Eisenaufnahme zu vermerken.9
Untersuchungen beim Verzehr von Vollkorngetreide haben gezeigt, dass die Komplexbildung dem Körper zwar Mineralstoffe entzieht, der hohe Mineralstoffgehalt in Vollkorngetreideprodukten diese Verluste jedoch auch kompensiert.
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